Softwarepatente in Europa

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Offener Brief an Prof. Köhler zu Softwarepatenten

31. Mai 2004

Lieber Herr Professor Köhler,

"Deutschland soll ein Land der Ideen werden" haben Sie in der Rede nach Ihrer Wahl zum Deutschen Bundespräsidenten formuliert. - Diese Ideen zu patentieren, haben Sie nicht verlangt! - unserer Ansicht nach aus gutem Grund. Denn nur mit dieser Einstellung werden wir dem Lissabon-Ziel der Staats- und Regierungschefs näher kommen, bis 2010 "wettbewerbsfähigste wissensbasierte Wirtschaft" zu werden.

Tatsächlich unternimmt Europa - mit massiver Unterstützung von Deutschland - das genaue Gegenteil, von dem, was getan werden sollte: Mitte Mai hat der Ministerrat der Europäischen Union bekräftigt, ein Gesetz zum Einklagen von Lizenzgebühren aus Softwarepatenten schaffen zu wollen - entgegen der Bedenken von 30 Informatikprofessoren in Europa, der Monopolkommission, dem MIT, der Boston University School of Law und fachkundigen Personen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft.

Nun patentieren Softwarepatente keine Softwareprogramme (der Quellcode ist nämlich durch das Urheberrecht geschützt!), sondern sie verhindern, dass kreative Sperrgebiete von Softwareentwicklern betreten werden, die zu langsam mit dem Patentantrag waren. Es handelt sich in Wahrheit also um Software-Ideen-patente.

Ich möchte den entstehenden Schaden für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft an drei Beispielen dokumentieren: Hätte es Mitte des 18. Jahrhunderts schon Ideenpatente gegeben, hätte Joseph Haydn ein "Musikstück aus vier Sätzen mit Gesang und Melodie" patentieren können. Die Folge: Haydn hätte für jede von Mozarts 41 Sinfonien Lizenzzahlungen in beliebiger Höhe verlangen können.

Ähnlich ist es heute. Der Telefonie übers Internet wird zugetraut, ihren Umsatz bis 2007 zu vervierfachen - ein wahrer Wachstumsmarkt also. In den USA beschäftigen sich 880 Patente mit diesem Thema. De facto entsteht ein riesiges kreatives Sperrgebiet mit dem neue Lösungen verhindert werden.

Das wäre etwa so, wie wenn Tim Berners Lee - der Erfinder des World Wide Web - seine einmalige Idee hätte schützen lassen wollen: Das WWW wäre einem engen zahlungskräftigen Club von Auserwählten vorbehalten geblieben.

Wir sind selbstverständlich mit Ihnen einer Meinung, dass die Gesellschaft die Leistung eines Softwareentwicklers angemessen honorieren und belohnen muss - sonst fehlt dem Einzelnen der Anreiz, seine Fähigkeiten der Gemeinschaft zur Verfügung zu stellen. Um Software zu schützen, gibt es bereits ein funktionierendes Urheberrecht. Zusätzliche Softwarepatente sind da eher hinderlich.

Mit den besten Wünschen für Ihr künftiges Amt

Georg Greve
Free Software Foundation Europe
fsfe.org