Softwarepatente in Europa

[Einführung | Hintergrund | Status | Weiterführende Dokumente]

Offener Brief [2004-05-10] [2004-05-31] [2004-07-06] [2004-08-02] [2004-09-06] [2004-10-04] [2004-11-01] [2004-12-06] [2005-01-03] [2005-02-07] [2005-03-07] [2005-04-05] [2005-05-02] [2005-06-06]

Offener Brief an die Fraunhofer Gesellschaft (FhG)

6. Juli 2004

Lieber Herr Professor Bullinger,

"Die Forschung soll sich ihr Geld auch am Markt verdienen können!" - das lehrt uns die Politik - und so haben wir - die Free Software Foundation Europe - Verständnis dafür, wenn sich die Forschung in kreativer Weise um die Verbesserung Ihrer Einnahmen bemüht. Jedoch sollte auch die Forschung darauf achten, nicht an dem Ast zu sägen, auf dem sie sitzt. Die Gefahr dazu ist mit den derzeit in der Diskussion befindlichen Softwarepatenten unmittelbar gegeben:

Die Fraunhofer Gesellschaft ist für ihr Patent auf den Audio- Kompressionsstandard MP3 bekannt. Eine Alternative zu MP3 hat das Projekt Ogg Vorbis entwickelt. Diesem billigen Experten eine höhere technische Qualität zu. Obwohl bei der Entwicklung bewußt darauf geachtet wurde, das MP3 Patent nicht zu verletzen, müsste Ogg Vorbis wohl mit erheblichen Lizenzforderungen des Fraunhofer IIS rechnen, sollten Softwarepatente tatsächlich in Europa legalisiert werden.

Auf diese Weise könnte die FhG einen unliebsamen Wettbewerber aus dem Markt drücken oder sich zumindest erhebliche Mehreinnahmen verschaffen. Auf das damit verbundene ethische Problem wollen wir hier erst gar nicht eingehen.

Auch volkswirtschaftlich ist es sicher nicht sinnvoll, dass die gute Idee die noch bessere blockieren kann: Dies ist eine Erkenntnis von Dr. Daniel Probst vom Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftstheorie der Universität Mannheim. Herr Probst stellte in einer Anhörung des Deutschen Bundestages zu Softwarepatenten im Juni 2001 fest:

"Der Anteil der KMUs würde abnehmen und ein Konzentrationsprozess würde eintreten. Einige wenige Großunternehmen würden aufgrund von Netzwerkeffekten marktdominierende Stellungen erlangen. Insoweit als dieses Verhalten mit dem Wettbewerbsrecht vereinbar ist, würden sie untereinander Kreuzlizenzierungsabkommen über ihre Patentportfolios abschließen, und vermittels Sperrpatenten den Markteintritt neuer Firmen stark beschränken. Die Forschungsintensität der Branche würde stagnieren oder fallen." Ausserdem sei mit einem drastisch schrumpfenden Angebot an Freier Software zu rechnen.

Ich persönlich bedauere jeden einzelnen der hier genannten Stichpunkte. Es gibt noch wesentlich mehr Mängel - auf ein paar davon haben wir Herrn Professor Köhler im Rahmen unserer Serie Offener Briefe zu Softwarepatenten im Juni aufmerksam gemacht. Von Amts wegen muss Sie aber der hier genannte erste Punkt erschrecken: "Der Anteil der KMUs würde abnehmen". Die Fraunhofer Gesellschaft wickelt nach Angaben der Bundesregierung 60 Prozent ihrer Auftragsforschung mit KMUs ab. Außerdem ist nicht auszuschließen, dass die Großindustrie ihre Forschung künftig vermehrt in den Osten der Europäischen Union verlagert. Schließlich stehen in Polen und anderen Beitrittsländern hervorragend ausgebildete Softwareentwickler für einen Bruchteil der Kosten zur Verfügung.

So könnten der größten Europäischen Forschungsgesellschaft im Bereich "Informations- und Kommunikationstechnik" nicht nur die Projektpartner wegsterben, ja es könnte sogar passieren, dass selbst die Unternehmen das Zeitliche segnen, von denen die FhG doch eigentlich leben wollte. Die Späne fallen schon lange. Mittlerweile aber droht der Ast zu brechen.

Mit freundlichen Grüssen

Georg Greve
Free Software Foundation Europe
fsfe.org