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Verpasste Chancen: Wo die Große Koalition nachbessern muss

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Der finale Koalitionsvertrag, über den die SPD-Mitglieder bis zum 14. Dezember abstimmen, beschreibt sich selbst als Weichenstellung hin zu einer echten digitalen Gesellschaft. Die Free Software Foundation Europe (FSFE) kann ebenfalls Fortschritte erkennen, aber keine Meilensteine, die Deutschland zum Spitzenreiter der Digitalisierung von Gesellschaft und Wirtschaft machen würde, wie es sich die Koalitionspartner zum Ziel gesetzt haben.

Erfreulich ist, dass sich CDU/CSU und SPD auf eine klare Haltung gegenüber dem Routerzwang geeinigt haben, dem sie eine deutliche Absage erteilen1 und damit der Empfehlung der FSFE folgen. Ebenso plädieren sie für Freie Lizenzen und Open Access im Bildungssystem2 und erwähnen in vielerlei Hinsicht IT-Sicherheit als Voraussetzung für Vertrauen der Bürger in öffentliche Behörden und Projekte3. Dazu passend erwähnt der Koalitionsvertrag auch den Willen zur Förderung von offenen Plattformen und großflächiger Interoperabilität4.

Trotz dieser guten Absichten vermisst die FSFE klare Zugeständnisse und konsequente Schlussfolgerungen. Bei Anschaffungen und Entwicklungsaufträgen von Software für öffentliche Einrichtungen beispielsweise soll Freie Software nur erwogen, jedoch nicht priorisiert werden5, wie es angesichts der zum Ziel gesetzten Werte wie IT-Sicherheit und Interoperabilität nötig wäre. In diesem Zusammenhang ist fragwürdig, welche Gründe konkret gegen eine generelle Priorisierung Freier Software sprechen. Eine ähnlich vorsichtige Formulierung fand sich auch schon im Koalitionsvertrag der vorherigen Regierung6, was keine Stärkung Freier Software auf Bundesebene mit sich brachte. Auch ambitionierten Projekten wie bundesweiten Warn- und Informationssystemen für Bürger7 und der Zentralisierung der Bundes-IT ohne Herstellerabhängigkeit8 fehlt die letzte Konsequenz, dass diese nur mit Freier Software plattformunabhängig umgesetzt werden können. Welche Gründe sprechen dagegen, dass öffentlich finanzierte Software verpflichtend unter Freie Lizenzen gestellt werden muss?

Bei der Analyse des Koalitionsvertrags fällt auf, dass im Gegensatz zu früheren Entwürfen Offene Standards nicht mehr wörtlich auftauchen, sondern nur noch in Umschreibungen. Diese sind für viele gute Ideen wie Open Access im Bildungssektor eine Grundvoraussetzung, um Inhalte diskriminierungsfrei und interoperabel anbieten zu können. Hier fordert die FSFE von der Großen Koalition, den Worten konkrete Taten für Freie Software folgen zu lassen. Ebenso vermisst die FSFE trotz eines interfraktionellen Antrags klare Aussagen gegen Softwarepatente und trotz eines Eckpunktepapiers der Bundesregierung konkrete Maßnahmen gegen kritische Technologien wie Secure Boot, die die Unabhängigkeit von Bürgern, Unternehmen und Staaten gefährden.

Dabei könnte Deutschland schon heute von der Erfahrung seiner unmittelbaren EU-Nachbarn lernen. Die Niederlande etwa stehen im E-Government-Index der UN europaweit an oberster Stelle, während Deutschland im EU-Vergleich auf Platz 10 rangiert. Dort können etwa Steuererklärungen auch nativ auf GNU/Linux-Systemen ausgefüllt werden, wogegen sich deutsche Behörden immer noch stemmen. In Frankreich wurde ein Netzwerk aufgestellt, über welches detailliert erfasst wird, wo welche Freie Software wie verwendet wird und welche Ergebnisse damit erreicht werden. Die Französische Gendarmerie hat mehrere zehntausend Computer auf GNU/Linux-Systeme umgestellt und dadurch die IT-Kosten um 40% gesenkt. Schwedens Ausschreibungssystem ermöglicht es auch kleineren regionalen Firmen, Bundesaufträge oder Teile davon anzunehmen, was die lokale Wirtschaft stärkt und gleichzeitig die Interoperabilität zwischen Gemeinden und Behörden verbessert. Ähnliche positive Erfahrungen und Strategien sind auch in Großbritannien und in Italien, wo Freie Software in Behörden priorisiert wird, zu beobachten.

In Deutschland hingegen ließ sich in den letzten Jahren eher Stagnation und Rückschritt verzeichnen. Die Umstellung auf Freie Software im Auswärtigen Amt wurde gestoppt, andere Freie-Software-Projekte in ihrer Umsetzung behindert und keine neuen gefördert.

Zwar zeigt der Koalitionsvertrag, dass CDU/CSU und SPD grundsätzlich gewillt sind, Freier Software mehr Bedeutung zukommen zu lassen. Doch um wieder den Anschluss an die europäische Spitze zu finden, ist es nötig, dass die Regierung in den nächsten vier Jahren konsequent Freier Software den Vorrang in Ausschreibungen und kritischen Infrastrukturen gewährt. Nur durch die Förderung Freier Software ist es möglich, Freiheit, Sicherheit und Wettbewerb in einer digitalen Gesellschaft zu vereinen.

Fußnoten

  1. "Wir wollen eine gesetzliche Klarstellung für den Netzzugang von Telekommunikationsanbietern. Nutzerinnen und Nutzer müssen die freie Auswahl an Routern behalten. Daher lehnen wir den Routerzwang ab. Die zur Anmeldung der Router (TK- Endeinrichtungen) am Netz erforderlichen Zugangsdaten sind den Kundinnen und Kunden unaufgefordert mitzuteilen." (S. 49)

  2. "Die digitale Lehrmittelfreiheit muss gemeinsam mit den Ländern gestärkt werden. Grundlage hierfür ist ein bildungs- und forschungsfreundliches Urheberrecht und eine umfassende Open-Access-Politik. Schulbücher und Lehrmaterial auch an Hochschulen sollen, soweit möglich, frei zugänglich sein, die Verwendung freier Lizenzen und Formate ausgebaut werden." (S. 30)

  3. "Voraussetzung für die Akzeptanz elektronischer Behördendienste sind Datenschutz und Sicherheit der Kommunikation und Angebote. Die Identifizierungsfunktion des neuen Personalausweises und die Nutzung von Ende-zu-Ende-Verschlüsselungen sind grundsätzlich anzuwenden." (S. 152)

    "Die Weiterentwicklung und Verbreitung von Chipkartenlesegeräten, Kryptographie, DE-Mail und sicheren Ende-zu-Ende-Verschlüsselungen sowie vertrauenswürdiger Hard- und Software gilt es erheblich auszubauen." (S. 148)

  4. "Unser Ziel ist, bei Schlüsseltechnologien und IT-Kernkompetenzen (IT-Sicherheit, Netzwerktechnik, Embedded Systems, Prozess- und Unternehmenssoftware, Kryptographie, Machine-to-Machine-Kommunikation etc.) eigene Technologieplattformen und Produktionslinien in Deutschland bzw. im europäischen Verbund zu halten. Als Alternative zu den geschlossenen digitalen Ökosystemen unterstützt und fördert der Bund im Software-Bereich gerade auch die Entwicklung von offenen Plattformen und Open-Source-Lösungen und setzt sich dafür auch auf europäischer Ebene ein. Wir wollen im globalen Wettbewerb „Software made in Germany“ als Qualitätsversprechen bzgl. Sicherheit, Datenschutz, Design und Nutzerfreundlichkeit stärken. Wir unterstützen Prozesse der Standardisierung, Interoperabilität und Zertifizierung als wichtige Parameter für den Markterfolg deutscher Produkte." (S. 20)

  5. "Bei der Anschaffung von IT-Technologie durch die öffentliche Hand müssen im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsprinzips Innovationspotenziale und Nachhaltigkeit als mitentscheidende Kriterien bedacht werden. Bei Ausschreibungen sollen Sicherheitsstandards vorgegeben und wenn möglich Open-Source-Lösungen erwogen werden." (S. 152)

  6. "Die Informationstechnik des Bundes bedarf der Konzentration, Standardisierung und Effizienzsteigerung sowie Bündelung vorhandener Ressourcen. Wir werden hierzu den Beauftragten der Bundesregierung für Informationstechnik stärken. Wir prüfen, wie die IT des Bundes sich zukünftig an offenen Standards orientieren und dabei auch Open-Source-Lösungen berücksichtigen kann." (Alter Koalitionsvertrag S. 102)

  7. "Wir fördern die Entwicklung und den Einsatz von bundesweiten Warn- und Informationssystemen, mit denen Bürgerinnen und Bürger per SMS, E-Mail oder über eine App über Unfälle, Gefahren und Katastrophen informiert werden können." (S. 144)

  8. "Der Bund wird den Ländern vorschlagen, die Programme des E-Governments unter Verantwortung des IT-Planungsrates zu konsolidieren und zu koordinieren. Dabei sind Technologien nach Möglichkeit langfristig so zu planen, dass keine Abhängigkeiten zu intransparenten Protokollen, Software, Hardware oder Herstellern entstehen." (S. 152)