Zusammenfassung des bisherigen Falls

Kurzzusammenfassung des Rechtsstreits

Der Streit zwischen AVM Computersysteme Vertriebs GmbH (AVM) und der Cybits AG (Cybits) betrifft nicht nur die beteiligten Unternehmen, sondern alle Anbieter und Nutzer von Freier Software unter der GPL (GNU General Public License). Das Berliner Unternehmen AVM ist ein großer Hersteller von DSL-Endgeräten und benutzt dafür unter anderem den Linux-Kernel in deren Firmware. Cybits vertreibt die Filter-Software "Surf-Sitter DSL" zum Kinderschutz im Internet. Surf-Sitter lädt die Software der FritzBox auf den Computer des Nutzers, verändert sie und installiert sie dann wieder auf die FritzBox.

AVM hat Klage beim Landgericht Berlin eingereicht, um Cybits zu verbieten, die Firmware der FritzBox zu verändern und wieder auf die DSL-Geräte zu spielen - und zwar auch in Hinblick auf die unter der GPL lizenzierten Bestandteile.

Harald Welte, Programmierer und Urheber an Bestandteilen des Linux-Kernels, hält die Klage von AVM selbst für rechtswidrig. Da sowohl AVM als Cybits Lizenznehmer von ihm sind, ist er als "Streithelfer" dem Verfahren beigetreten und hat eine Nebenintervention eingereicht (pdf).

Der Rechtsstreit

Der Rechtsstreit wird in einem bereits abgeschlosenen Verfügungsverfahren sowie in dem jetzt anhängigen Hauptsacheverfahren ausgetragen.

Verfügungsverfahren

Im Januar 2010 hat AVM eine einstweilige Verfügung gegen Cybits beantragt. Bei einem Verfügungsverfahren geht es um es eine vorläufige Regelung eines Rechtsstreits; dabei werden werden wegen der Eilbedürftigkeit keine Beweise geprüft, sondern die Parteien sind auf eine Glaubhaftmachung der Tatsachen beschränkt. Ein Verfügungsverfahren wird meist gewählt, weil dieses zu einer schnellen Entscheidung führt.

AVM hat den Antrag auf Erlass einer einstweilige Verfügung gegen Cybits mit einer angeblichen Verletzung des Urheber- und Wettbewerbsrechts begründet. Das Gericht hat dem zunächst stattgegeben, Cybits ging danach in Berufung.

Harald Welte, Freier-Software-Entwickler und Gründer von gpl-violations.org, ist auf den Fall aufmerksam geworden und daraufhin als "Streithelfer" dem Rechtsstreit beigetreten. Die Möglichkeit für Harald Welte, als Streithelfer einzutreten ist dadurch gegeben, da sowohl AVM als auch Cybits Lizenznehmer von Harald Welte sind: Beide verwenden die in Linux enthaltenen Programme MTD und iptables/netfilter und das gerichtliche Vorgehen von AVM verletzt nach Ansicht von Harald Welte die GNU GPL und damit auch seine Urheberrechte.

Eine der Forderungen von AVM war - und ist es weiterhin -, dass es Cybits verboten werden soll, die Freie Software zu verändern und wieder auf dem Gerät zu installieren. Der Antrag von AVM lautete:

Die Antragsgegnerin [Cybits] hat es zu unterlassen, die Software "Surf-Sitter-DSL" anzubieten, zu verbreiten und/oder zu betreiben, sofern mittels dieser Software die in den von der Antragsstellering [AVM] hergestellten und vertriebenen DSL-Routern, insbesondere FRITZ!Box Fon [...], eingebettete Firmware bzw. Teile hiervon bearbeitet und umgearbeitet sowie in Teilen unverändert bzw. in Teilen abgeändert weiter gebraucht wird.

AVM will Cybits damit gerichtlich verbieten, Freie Software unter der GNU General Public License (GPL) auf ihren Geräten zu verändern. Die GNU GPL sieht jedoch vor, dass jeder die Software unter der Lizenz verwenden, verstehen, verändern und in unveränderter oder veränderter Form verbreiten darf. AVM nutzt also Freie Software für ihre Produkte, verstößt aber gegen die Lizenzbedingungen. Damit erlöscht die Lizenz und AVM darf besagte Freie Software nicht weiter auf ihren Geräten vertreiben.

AVM hat seine Position im Wesentlichen mit drei Argumenten begründet. Zunächst wurde das Argument angeführt, dass die ganze Software eine Einheit sei, an der AVM die Urheberrechte besitze und daran nichts geändert werden dürfe. Welte hat hingegen die Position vertreten, dass wenn dies der Fall wäre, die ganze Software ein abgeleitetes Werk im Sinne der GPL ist und daher die komplette Software auf den DSL-Geräten unter der GNU GPL lizenziert werden müsste. Daraufhin schwenkte AVM auf ein anderes Argument um: Die Software auf dem Gerät bestehe doch aus einzelnen Teilen. Nach Auffassung von Welte darf AVM in diesem Fall aber niemandem verbieten, die unter der GPL lizenzierte Software zu verändern und für die DSL-Geräte anzubieten. Das letzte Argument von AVM bestand darin, dass es sich bei der Software auf dem Gerät um eine Zusammenstellung von verschiedenen Computerprogrammen handele, die wegen der kreativen Auswahl selbst als Sammelwerk geschützt sei und daher AVM ein Urheberrecht zukomme, welches nicht vom Copyleft der GPL erfasst werde.

Das Kammergericht Berlin hat im Berufungsverfahren das generelle Verbot zur Veränderung der Firmware in den FritzBoxen aufgehoben und nur insoweit bestätigt als die veränderte Software fehlerhafte Angaben macht, etwa unrichtig den Status des Gerätes als "online" oder "offline" anzeigt. Damit wurde die grundsätzliche Position von Harald Welte und der FSFE bestätigt.

Dazu gehörigen Dokumente

Hauptsacheklage

Weiterhin hat AVM eine Hauptsacheklage gegen Cybits eingereicht, die derzeit beim Landgericht Berlin anhängig ist. Bei der Hauptsacheklage geht es um eine endgültige Regelung des Rechtsstreits, das Gericht ist nicht an die Entscheidung in dem Verfügungsverfahren gebunden, da durch die umfassende Beweismöglichkeit ein abweichender Sachverhalt zugrunde gelegt werden kann. Am 21. Juni 2011 findet die mündliche Verhandlung statt.

Die Argumentation der Parteien entspricht aber auch auch im Hauptsachverfahren derjenigen in dem Verfügungsverfahren. Da Cybits verspätet auf ein Schreiben reagiert hatte, wurde ein Versäumnisurteil ausgesprochen, in dem Cybits verboten wurde, die Software auf den DSL-Routern zu verändern. Cybits hat gegen die Entscheidung Einspruch eingelegt.

Harald Welte hat nun wieder einen Antrag gestellt, um als Streithelfer zugelassen zu werden.

Mündliche Verhandlung - 21. Juni 2011

Am 21. Juni hat vor dem Landgericht Berlin die erste mündliche Hauptverhandlung in dem Klageverfahren stattgefunden, das der DSL-Router-Hersteller AVM gegen den Softwareproduzenten Cybits angestrengt hat. Bei dem Termin diskutierten die Parteien und der Streithelfer der Beklagten, Harald Welte, drei Themenkomplexe: Die urheberrechtliche, markenrechtliche und wettbewerbsrechtliche Einordnung der von AVM geltend gemachten Ansprüche.

Der Fokus der Verhandlung lag weniger im urheberrechtlichen Problemfeld, sondern stärker auf den marken- und wettbewerbrechtlichen Fragen. AVM stellt zwar nicht in Abrede, dass die auf den Routern installierte GNU GPL-Software durch die Nutzer verändert werden dürfe, beharrt aber offenbar auf dem Standpunkt, dass diese veränderte Software dann nicht mehr auf die Router aufgespielt werden dürfe. Dabei stützt sich AVM auf zwei Hauptargumente:

Es sei denkbar, dass AVM-Router mit der durch die Software Cybits' geänderten Software an Dritte gelangten, die keine Kenntnis von den Änderungen der Firmware hätten und so eventuelle Änderungen der Funktionen des Routers, die eigentlich durch den Cybits' Software hervorgerufen werden, AVM zuschrieben. Dies beeinträchtigte die Interessen AVM. Daher würden die Markenrechte AVMs verletzt. Auch sei dies ein Akt unlauteren Wettbewerbs.

Außerdem sei ein Router kein normaler Computer, auf dem zusätzliche Programme installiert werden können, sondern ein Produkt, das gerade nicht dazu bestimmt sei, geändert zu werden. Eine Änderung der Firmware auf den Routern, auch des Kernels, müsse AVM daher nicht dulden.

Die Vertreter Cybits und Harald Weltes machten deutlich, dass diese Argumente nicht greifen. Eine Markenverletzung scheide schon deshalb aus, weil Cybits selbst AVMs Marken nicht benutze. Eine unlautere Wettbewerbshandlung liege ebenfalls nicht vor, da es Cybits ja gerade urheberrechtlich gestattet sei, den Kernel der Firmware zu verändern. Insbesondere verlange die GNU GPL ausdrücklich, dass auch die Installation der veränderten Software wieder ermöglicht werden muss. Auch sei ein Router selbstverständlich ein Computer, dessen Firmware von Interessierten geändert werden könne, soweit diese die entsprechenden urheberrechtlichen Befugnisse (z.B. aus der GNU GPL) haben.

Das Gericht ließ erkennen, dass es einer Einschränkung der Rechte zur Änderung des Linux-Kernels auf urheberrechtlicher Basis skeptisch gegenübersteht. Insbesondere betonte es, dass dann, wenn die Firmware als Einheit anzusehen sei - wie das AVM zu meinen scheint -, die gesamte Firmware wohl unter die GNU GPL gestellt werden müsse. Auch die markenrechtlichen Ansprüche wurden vom Vorsitzenden Richter sehr kritisch betrachtet. Hinsichtlich der wettbewerbsrechtlichen Einordnung des Falles ließ das Gericht noch keine klare Tendenz erkennen.

Eine Entscheidung ist in der heutigen Verhandlung nicht ergangen. Die Beteiligten dürfen binnen einer noch zu bestimmender Frist weitere Schriftsätze einreichen. Ob das Gericht dann direkt entscheidet oder zunächst in die Beweisaufnahme eintreten wird, für die ein weiterer Termin anzuberaumen wäre, ist noch offen.

Entscheidung - 8th November 2011

Im Streit zwischen den Unternehmen AVM und Cybits liegt nun auch die schriftliche Begründung des Urteils des Landgerichts Berlin (PDF) vor. Das Gericht bestätigt die Auffassung der FSFE, dass die Nutzer von GNU-GPL-Software diese auch dann verändern und wieder installieren dürfen, wenn diese als Teil von Firmware von Embedded-Systemen vertrieben wird.

Das Gericht hat insbesondere verneint, dass Cybits durch den Vertrieb der Software Surf-Sitter DSL die Urheberrechte AVMs verletzt habe. Die Firmware der von AVM vertriebenen DSL-Router sei ein Sammelwerk; allerdings ergebe sich aus der GNU General Public License (GNU GPL), dass die in der Firmware befindlichen GNU-GPL-Bestandteile vervielfältigt und modifiziert werden dürfen. Es sei daher zulässig, diese im Rahmen der Installation des Surf-Sitters von AVM herunterzuladen und zu bearbeiten.

Die markenrechtlichen Ansprüche wurden ebenfalls abgelehnt. Dass die Marke Fritz!Box auch nach Installation des Surf-Sitters durch den Nutzer noch im Benutzer-Interface der Router zu sehen ist, stelle keine Verletzungshandlung dar.

Außerdem ergibt sich aus der Begründung, dass eine Modifikation der GNU-GPL-Bestandteile der Firmware als solche auch keine wettbewerbsrechtlichen Ansprüche auslöst. Das Landgericht bestätigt damit, dass es prinzipiell erlaubt ist, Firmware-Teile, die unter der GNU GPL stehen, zu ändern und die veränderten Fassungen neu zu installieren.

Der stattgebende Teil der Entscheidung, der dem Tenor des Urteils des Kammergerichts aus dem Jahr 2010 entspricht, stützt sich allein auf den Gedanken, dass die Kunden es AVM zurechneten, wenn nach Installation des Surf-Sitters Fehlanzeigen hinsichtlich des Bestehens einer Internetverbindung bzw. der Aktivität der Kindersicherung auftraten. Diese Fehlanzeigen muss Cybits beseitigen. Veränderungen der Firmware als solche sind dagegen danach erlaubt.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Parteien können noch Berufung einlegen.

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