Kriminalisierung von Verletzungen des Urheber- und Markenrechts
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- Status
- Bisherige Aktivitäten
- Zusammenfassung der Richtlinie
- Schädliche Auswirkungen auf Freie Software
- Den Vorschlag „2006/0168(COD)“ lesen
- Was wir tun können
- Externe Links
Aktueller Stand
Am 25. Mai 2007 findet die Abstimmung zur ersten Lesung des Europäischen Parlaments statt. Der FFII hat eine Tabelle mit den Änderungsanträgen veröffentlicht, aus der man auch ablesen kann, welche Änderungsanträge bisher angenommen wurden.
Bisherige Aktivitäten
Informationen zur Position der FSFE, vor der ersten Lesung des Europäischen Parlaments, finden Sie in unserem offenen Brief an die MEPs (Mitglieder des Europäischen Parlaments), April 2007.
Zusammenfassung der Richtlinie
- Die vorgeschlagene Richtlinie: com(2006)168
„Artikel 3
Straftat
Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass jede vorsätzliche, in gewerblichem
Umfang begangene Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums, der
Versuch einer solchen Rechtsverletzung sowie die Beihilfe und Anstiftung
dazu als Straftat gilt.“
(Artikel 3. Seite 9 der vorgeschlagenen Direktive)
Die Definition von „geistigem Eigentum“ („Intellectual property rights“) wirft Patente, Urheberrechte, Markenrechte, Geschmacksmuster und andere Kategorien von Recht in einen Topf. Es wird keine Definition von „vorsätzlich“ oder von „in gewerblichem Umfang“ gegeben, und es fehlen Beispiele dazu, was unter „geistigem Eigentum“ zu verstehen sein soll und was nicht darunter zu verstehen ist.
Diese Richtlinie wird häufig „IPRED2“ genannt. Wir empfehlen jedoch, Begriffe wie „geistiges Eigentum“ nicht zu verwenden, da dies zu Verwirrungen führt, die unsere Arbeit schwieriger machen. Die Richtlinie könnte stattdessen „die Kriminalisierungsrichtlinie“ genannt werden.
Schädliche Auswirkungen auf Freie Software
Softwarepatente: Durchsetzung mittels Angst
Wir erwarten, dass das Europäische Parlament die vorgeschlagene Richtlinie abändern wird, um Patente auszuschließen. Dies ist wichtig, denn obwohl durch das Europäische Patentabkommen Software von der Patentierbarkeit ausgeschlossen ist, gewährt das Europäische Patentamt (EPA) Patente auf Softwareideen. Trotz der Tatsache, dass mehr als 90% der Rechtstreitigkeiten, die auf solchen Patenten basieren, keine Chance auf Erfolg vor Gericht besäßen, bietet das EPA damit Patentinhabern eine juristische Grundlage, um Softwareproduzenten und -händlern Gerichtsverfahren anzudrohen. Gefängnisstrafen, hohe Geldstrafen, Beschlagnahme von Besitz und die Gefahr der Firmenschließung sind Bedrohungen, die genügend Furcht unter Computernutzern erzeugen könnten, diese ungültigen Patente anzuerkennen. (Weitere Informationen zu der Problematik von Softwarepatenten gibt es auf der Seite über die Arbeit der FSFE gegen Patentierbarkeit von Software.)
Schaden für effiziente Softwareproduktions- und Vertriebsmodelle
Die starke Erhöhung der Risiken von Softwareentwicklung und -vertrieb wird sich abschreckend auf Produzenten und Händler auswirken, die in Strukturen agieren, die keine oder nur wenige Geldmittel für juristische Zwecke zur Verfügung haben. Damit wird insbesondere Freie Software geschwächt, da diese oft durch Einzelpersonen, kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) oder durch Unternehmen, die ihre Kerngeschäft nicht in der Softwareentwicklung sehen, entwickelt wird.
Ermutigung zu kommerziellem Missbrauch, siehe SCO
Wenn man den Initiatoren von Gerichtsverfahren in diesem Zusammenhang erweiterten Zugang zu nationalen Strafverfolgungsinstitutionen gibt und damit die nachteiligen Auswirkungen von Rechtsstreitigkeiten erhöht, dann werden Menschen dazu angeregt, diese Gerichtsverfahren als kommerzielles Werkzeug am Markt anzuwenden.
Ein weithin bekanntes Beispiel aus den USA ist SCO: Ohne irgendeinen Beweis oder irgendwelche anderen Hinweise hat SCO IBM und andere der Verletzung von „geistigem Eigentum“ auf kommerzieller Ebene beschuldigt. Damit haben sie den wachsenden Einsatz von Freier Software, wie etwa des GNU/Linux-Betriebssystems, gehemmt und haben dem Ansehen einer Handvoll Unternehmen, allesamt Wettbewerbsgegner von Microsoft, einem der Hauptunterstützer von SCO, geschadet.
Verhinderung von Haftungsübernahmen
Bei Straftatbeständen ist keine Haftungsübernahme möglich. Daher werden Versicherungen gegen Patentklagen unmöglich gemacht, und Softwareproduzenten können nicht mehr die Haftung für ihre Vertragshändler übernehmen.
Entwickler in Grauzonen: DeCSS, Datentauschdienste
Die Europäische Richtlinie zur „Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft“ (com(2001)29ec) hat den Einfluss des Urheberrechts stark erweitert. Neben dem Verbot der nichtgenehmigten Vervielfältigung von Informationen schränkt das Gesetz jetzt auch die Möglichkeiten ein, wie die Öffentlichkeit Technologien einsetzen kann, um auf urheberrechtlich geschützte Informationen zuzugreifen. Zum Beispiel gilt man als Urheberrechtsverletzer, wenn man seine eigene Software entwickelt, mit der man eine gewöhnliche, selbst erworbene DVD anschauen kann. Schreibt man Software, mit der man Dateien mit anderen über das Netzwerk tauschen kann, so befindet man sich in einer rechtlichen Grauzone - es könnte eine Urheberrechtsverletzung darstellen. Die in der Richtlinie angedrohten Gefängnisstrafen und anderen harten Strafen werden viele davon abhalten, nützliche Software aller Art zu schreiben (inklusive zwar geduldeter, aber illegaler Software sowie Software in Grauzonen).
Den Vorschlag „2006/0168(COD)“ lesen
Der IPRED2-Vorschlag bestand ursprünglich aus zwei Teilen, wurde dann aber im Mai 2006 als ein Richtlinienvorschlag veröffentlicht: com(2006)168).
Der Grund für die Neuveröffentlichung und die Änderung von zwei Teilen zu einem ist ein Präzedenzfall des Europäischen Gerichtshofes, der besagt, dass EU-Richtlinien von Mitgliedstaaten die Einführung von strafrechtlichen Maßnahmen verlangen können.
Verfahrensdetails
Die folgenden Informationen in diesem Abschnitt gelten für die erste
Veröffentlichung von IPRED2, es ist aber sehr wahrscheinlich, dass
es sich im aktuellen Vorschlag nicht ändern wird.
Verantwortlicher Ausschuss im Parlament: Rechtsausschuss (JURI)
Berichterstatter im Parlament: Nicola
Zingaretti (PSE, Italien).
Weitere kommentierende Ausschüsse im Parlament: Industrie, Forschung und Energie
(ITRE), Binnenmarkt- und Verbraucherschutz (IMCO), Bürgerrechte,
Justiz und Innenpolitik (LIBE).
Die Probleme
Die größten Probleme der Richtlinie bestehen in den Artikeln 3 und 4 (Seite 9 und 10 des Dokuments). Artikel 3 ist weiter oben angeführt. Artikel 4 listet die harten strafrechtliche Maßnahmen auf, die für die in Artikel 3 beschriebenen Handlungen anwendbar gemacht werden sollen. Diese beinhalten Gefängnis- und Geldstrafen, Geschäftsschließungen, Zerstörung von Gütern, die Möglichkeit, durch das Gericht überwacht zu werden und das Verbot, auf öffentliche Unterstützung zurückgreifen zu können.
Schwache Abgrenzung: „vorsätzlich“ und „gewerbsmäßig“
Der Satz „jede vorsätzliche Verletzung […] in gewerbsmäßigem Umfang“ wird viele Menschen glauben machen, die Richtlinie beziehe sich nur auf vorsätzlichen Gesetzesbruch aus Profitgründen.
Nehmen wir zum Beispiel den Anwalt eines Patentinhabers, der
versucht, einen Softwareentwickler dazu zu zwingen, seine
Software nicht mehr zu vertreiben.
Anwalt: „Hallo. Sie verletzen unser Patent, stellen Sie
den Vertrieb Ihrer Software ein.“
Softwareentwickler: „Da muss ein Missverständnis vorliegen.
Ich habe kein Patent gelesen, und außerdem ist
Softwarefunktionalität in der EU nicht patentierbar.“
Anwalt: „Aber das Europäische Patentamt hat dieses
Patent gewährt, und Sie verletzen es.“
Softwareentwickler: „Es ist sehr unwahrscheinlich, dass es einer
gerichtlichen Überprüfung standhalten wird.“
Anwalt: „Da Sie vorsätzlich ihre Software geschrieben haben
und Ihre Software den Softwaremarkt betrifft, ist Ihre
Rechtsverletzung vorsätzlich und gewerbsmäßig – das macht Sie zu
einem Kriminellen. Werden Sie nun den Vertrieb ihrer Software
einstellen, oder riskieren Sie eine Vorstrafe, die
Schließung Ihres Unternehmens, eine hohe Geldstrafe und
vielleicht ein wenig Zeit im Gefängnis?“
Softwareentwickler: „… aber meine Entwicklungsarbeit war
vorsätzlich, die Rechtsverletzung jedoch nicht. Ich habe noch
nicht einmal etwas von diesem dubiosen Patent gewusst.“
Anwalt: „Nun, seit dem Zeitpunkt meiner Anschuldigung der
Rechtsverletzung Ihnen gegenüber sind Sie sich dessen jedoch bewusst.
Daher ist jede weitere Rechtsverletzung vorsätzlich. Werden Sie
jetzt den Vertrieb einstellen?“
Ein einfacheres Beispiel ist der Musiker, der auf der Straße für das Kleingeld der Leute spielt. Die vorgeschlagene Richtlinie stempelt jeden Musiker zum Kriminellen ab, wenn das Lied, das er spielt, urheberrechtlich geschützt ist und ohne einer Lizenz vorgetragen wird. Es macht auch die Person, die den Musiker in die Stadt gefahren hat zum Kriminellen, da sie die Rechtsverletzung unterstützt hat. Leute, die dem Musiker ihr Kleingeld geben oder einfach nur umherstehen und zuhören, könnten dann ebenso Kriminelle sein, da sie den Musiker zum spielen animieren. Und jeder, der die Rechtsverletzung hätte verhindern können, dies aber nicht tat, ist auch ein Krimineller: Er hat die Rechtsverletzung begünstigt. Dieses Beispiel kann sehr nützlich sein, den Menschen klarzumachen, wie aberwitzig der Richtlinientext ist, aber es verdeutlicht nicht die Gefahr für die Softwarefreiheit. Daher ist es nur als erster Schritt für tiefergehende Erläuterungen zu verstehen.
Unverhältnismäßiger Zugang für Rechteinhaber
Der Richtlinienvorschlag gibt den Rechteinhabern Sonderrechte, um die Untersuchung zu beeinflussen:
„Artikel 7
Gemeinsame Ermittlungsgruppen
Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die betroffenen Inhaber von
Rechten des geistigen Eigentums oder ihre Vertreter sowie Sachverständige
an den von gemeinsamen Ermittlungsgruppen geleiteten Untersuchungen von
Straftaten im Sinne von Artikel 3 mitwirken können.“
Wichtig ist auch Artikel 8 (Seite 11), der aussagt, dass Mitgliedstaaten Verletzungen „geistiger Eigentumsrechte“ auch untersuchen und bestrafen sollen, wenn der Rechteinhaber dies nicht verlangt hat.
Was wir tun können
- Wir können das Europäische Parlament und den Ministerrat dazu aufrufen, die strafrechtlichen Mittel auf jene Fälle zu beschränken, bei denen die Rechtsverletzung im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität steht, oder wo sie ein Gesundheits- oder Sicherheitsrisiko für die Öffentlichkeit darstellt. Organisierte Kriminalität und öffentliche Gesundheit- und Sicherheitsrisiken werden als Rechtfertigung für diese Richtlinie genannt und es erscheint angemessen, die Artikel an die Rechtfertigungen zu knüpfen.
- Wir können das Europäische Parlament und den Ministerrat dazu auffordern, die strafrechtliche Behandlung „des Versuches einer solchen Rechtsverletzung sowie der Beihilfe und Anstiftung“ aus der Richtlinie zu entfernen. Denn für die meisten, wenn nicht sogar alle Mitgliedstaaten stellt die Richtlinie eine härtere Bestrafung für Anstiftung oder Beihilfe einer solchen Verletzung von „geistigem Eigentum“ dar, als bisher für das eigentliche Delikt auf der jeweiligen nationalen Ebene anwendbar ist.
- Wir können Druck im Europäischen Parlament aufbauen, diese Richtlinie einfach grundsätzlich abzulehnen. Der Entwurf von Gesetzen ist die Aufgabe der Europäischen Kommission und nicht des Europäischen Parlaments. Nachdem die Kommission den Richtlinienvorschlag an das Parlament übergeben hat, welcher im Grunde aus undefinierten und unklaren Begriffen besteht, wäre es für das Parlament angemessen, den Vorschlag zurückzuweisen, da die Kommission nicht ihre Aufgaben gemacht hat.
- Wir können im Präzedenzrecht nach existierenden Strafsanktionen für Patent-, Urheber- und Markenrechtsverletzungen suchen. Einige MEPs denken, dass dieser Richtlinienvorschlag lediglich eine Harmonisierung existierender Gesetze ist. In Wirklichkeit existieren aber nur in sehr wenigen Mitgliedstaaten der EU solche Gesetze - und es wäre interessant zu wissen, wie oft diese angewandt werden. Wenn dies alte, selten angewandte Gesetze sind, dann wäre es schwer für jemanden zu argumentieren, dass diese Gesetze europaweit unabdingbar sind.
- Wir können versuchen, Patente aus der Richtlinie auszuschließen. Dies wäre sehr brauchbar, da es gerade bei Patenten einfach ist, diese unwissentlich zu verletzen. Diese unwissentliche Verletzung würde hier niemanden vor Strafsanktionen schützen, denn „vorsätzlich“ könnte sich hier eher auf die Handlung beziehen, welche zur Rechtsverletzung (schreiben der Software) führte, als die Rechtsverletzung selbst. Selbst wenn man unwissentliche Rechtsverletzungen ausschließen würde, würde dieser Richtlinienvorschlag den Patentinhabern die Macht geben, durch einfaches Informieren des Rechteverletzers ein Vergehen in eine Straftat zu verwandeln. Diese hätte offensichtlich Verwendungsmöglichkeiten auf dem Markt: Einen Konkurrenten kurz vor der Veröffentlichung eines Produkts oder während eines Ausschreibungsverfahrens zu informieren wären zwei Beispiele für einen möglichen Missbrauch.
Notwendige Sofortmaßnahmen
Hoffentlich wird diese Internetseite nützlich sein, um andere zu informieren. Wenn Sie der Meinung sind, dass weitere Informationen hier hinzugefügt werden sollten, dann nehmen Sie bitte Kontakt mit uns auf.
Viele Mitgliedstaaten besitzen bereits strafrechtliche Maßnahmen für Urheber- und Markenrechtsverletzungen, und einige haben diese sogar schon für Patentverletzungen. Wenn Politiker fragen: „Welchen Schaden haben strafrechtliche Maßnahmen in anderen EU-Mitgliedstaaten hervorgerufen?“, so sollten wir eine Liste mit treffenden Beispielen zur Verfügung haben. Diese Liste muss zusammengetragen werden, und dafür benötigen wir Ihre Hilfe.
Externe Links
- Der Richtlinienvorschlag: com(2006)168. (auch weiter oben verlinkt)
- Meinten Sie „geistiges Eigentum“? Ein verführerisches Nichts, eine Abhandlung von Richard Stallman über Begrifflichkeiten.
- Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Die Richtlinie verletzt möglicherweise den Artikel 49 über die „Verhältnismäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen“.
- Ein Artikel des ZDNet aus Großbritannien: (englisch) Making IP infringement a crime
- com(2000)789, eine im Zusammenhang stehende Mitteilung der Kommission.
- IPRED-1, der Vorgänger dieser Richtlinie