Nächste Woche Dienstag: Freiburg entscheidet über Aus von ODT
Am kommenden Dienstag entscheidet Freiburg darüber, ob sie in Zukunft statt dem Open Document Format Microsofts propritäres Format OOXML verwenden werden. Der nachfolgende offene Brief wurde soeben von der Open Source Business Alliance, der Free Software Foundation Europe dem Bundesverbands Informations- und Kommunikationstechnologie, der Document Foundation und Freies Office Deutschland e.V. verschickt. Bereits im September hatten wir diesbezüglich die Bürgermeister und Mitglieder des Gemeinderats der Stadt Freiburg kontaktiert.
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Salomon,
Sehr geehrte Stadträtin, Sehr geehrter Stadtrat,
In der Drucksache G-12/223 liegt Ihnen derzeit ein Beschlussantrag mit drei Punkten vor, der nichts weniger als die Abkehr der Stadt Freiburg von einer offenen und nachhaltigen IT-Strategie beschließen soll. Nach unserer Überzeugung wäre es für die Stadt Freiburg und ihre Bürger von großem Nachteil, sollte diese Beschlussvorlage Bestätigung finden. Aufgrund der Faktenlage und nach Durchsicht der Gutachten, der Vorlage und der Anhänge schlagen wir vor, den Beschluss abzulehnen.
1.) Aufhebung des Gemeinderatsbeschluss G-07/067 (Open Document Format)
Zunächst verdient der dritte Punkt des Antrages eine tiefere Begutachtung, die unserer Meinung nach nicht innerhalb der wenigen zur Verfügung stehenden Tage möglich ist, aber schwerwiegende und nachhaltige Konsequenzen hätte. Mit der dort verlangten “Aufhebung des Gemeinderatsbeschluss gemäß Drucksache G-07/067 vom 26.06.2007 (...) soweit es um die Verwendung von Open Document als Standardformat geht.” würde die Stadt Freiburg einen Weg beschreiten, der nicht mit den Prinzipien einer modernen und freien Informationsgesellschaft mit ihrem Anspruch an Nachhaltigkeit und Offenheit vereinbar ist. Die freiwillige Abhängigkeit (Vendor-Lock-In) von einem Softwarehersteller (in diesem Falle Microsoft), der alleine über Features und Funktionen eines Dateiformates entscheidet, ist nach unserem Dafürhalten nicht mit den Ansprüchen einer von Steuern finanzierten Behörde vereinbar.
Im Gegenteil: Das Streben nach einem offenen Standard, hatte im Bereich der Office-Formate eben zu der Zielvorgabe geführt, die der Gemeinderat 2007 in weiser Voraussicht definierte. Immer mehr Gemeinden, Städte und Behörden (München, Leipzig, Schwäbisch Hall, zahlreiche US-amerikanische Städte, aber auch ganze Länder wie Brasilien, Italien, Spanien, … ) erkennen die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit freier Formate und offener Standards, auch und gerade in der Dokumentenverarbeitung. Und nicht zuletzt hat auch Microsoft selbst ODF in seine Office-Produkte (ab 2013 vollständige Unterstützung) eingebaut. Ein Wechsel, wie ihn Punkt 1 und 2 der Beschlussvorlage vorsehen, muss also keineswegs mit einer grundsätzlichen Änderung des Beschlusses und des Dokumentenformates einhergehen. Diese Annahme ist falsch, ebenso die Annahmen, ein freies Dokumentenformat sei zwingend an eine freie Office-Suite gebunden. Das durch die Beschlussvorlage beförderte DocX- bzw. OOXML-Format ist dagegen kein offenes Format.
Auch die Europäische Kommission warnt in ihrem kommenden Leitfaden im Kapitel "know your standards" davor.
2) Kritik am Gutachten und an der Stellungnahme der Behörde:
Das Gutachten, dass zum Wechsel auf eine reine Microsoft-Strategie rät, stellt an einigen Stellen die Realität fehlerhaft dar. Hier nur eine Auswahl:
- Auch kleinere Städte wie Schwäbisch Hall und Treuchtlingen sind durchaus, im Gegensatz zur Darstellung, sehr erfolgreich mit freier Office-Software. Beide sind auch Mitglieder der Open Source Business Alliance e.V. - wie die Stadt Freiburg. Wir möchten an dieser Stelle einen ernsthaften Erfahrungsaustausch anregen.
- Die Einschätzung des Gutachters, dass eine Kompatibilität zu Microsoft Office nicht in den nächsten Jahren erreichbar sei, ist ebenfalls falsch. Wichtig ist hier eben die unter Punkt 1 genannte Verwendung offener Standards, dann ist diese Kompatibilität selbstverständlich. Der Gutachter bleibt hierbei schuldig, welchen Einblick in die verschiedenen Freie-Software-Projekte er zu diesem Thema hat. An den verschiedenen Open-Source-Alternativen sind kompetente Software-Hersteller beteiligt, die auch nachhaltige und langfristige Perspektiven sichern. Ein Beispiel hierfür wäre etwa IBM, das große Teile des Office-Paketes IBM Symphony als Freie Software veröffentlicht hat. Und nicht zuletzt Microsoft selbst verspricht zum Beispiel in Office 2013 vollständige ODF-Kompatibilität.
- Zahlreiche Aussagen betreffend LibreOffice und Apache OpenOffice sind falsch oder veraltet. Für Beide gibt es in Deutschland ein breites und fachlich kompetentes Support-Angebot, das von SUSE bis hin zu vielen kleineren, auch in Baden-Württemberg vertretenen Anbietern reicht. Eine Liste können wir auf Ihren Wunsch gerne erarbeiten.
- Der WollMux als Anwendung zur zentralen Verwaltung und Nutzung von einheitlichen Vorlagen und Formularen bildet einen wichtigen Baustein in der Gesamtstrategie zur Optimierung der Arbeitsabläufe in der Stadt Freiburg. Diese von der Landeshauptstadt München entwickelte Anwendung, die als Freie Software ebenso wie OpenOffice.org lizenzkostenfrei genutzt werden kann, steht für Microsoft Office nicht zur Verfügung. Bei einer Migration auf Microsoft Office entfiele damit ein wichtiger und von der Anwendern hoch geschätzter Bestandteil der Arbeitsplatzausstattung.
- Aus unserer Sicht wichtig, aber überhaupt nicht thematisiert ist der Einsatz neuerer Versionen der freien Office-Pakete. Hierbei bleibt es zunächst irrelevant ob LibreOffice oder Apache OpenOffice verwendet wird. In beiden Fällen werden durch schnelle Updates eine Vielzahl von Benutzerproblemen behoben. Neue Releases erfolgen hier wesentlich öfter als bei Microsoft. Darauf gehen weder das Gutachten noch der Bericht der Verwaltung ein. Hier lässt sich problemlos weiteres Optimierungspotential erzielen.
- Das Gutachten vergleicht in seinen Handlungsanweisungen Äpfel mit Birnen. Zwar werden in den uns verfügbaren Anhängen auf zahlreichen Seiten die Lösungen, die Microsoft Office entweder als Teil- oder als Allein-Lösung vorschlagen, gewürdigt. Doch als Freie-Software-Alternative muss nur der “gescheiterte” Versuche der Stadt Freiburg herhalten, der offensichtlich sowohl an veralteter Software wie auch an unzureichender IT-Organisation litt. Dafür sprechen Aussagen im Gutachten, die auf die mangelhafte Kompatibilität und vor allem auf regelmäßige Abstürze hindeuten. Beides findet sich in aktuellen Software-Versionen nicht mehr, weder in LibreOffice noch in Apache OpenOffice.
- Ebenfalls keinen Einfluss genommen in die Beschlussvorlage haben offenbar die Aspekte des Mehrwerts und der Nachhaltigkeit, die das Open-Source-Entwicklungsmodell und die Verwendung von offenen Standards für Bürger, Behörden und die gesamte Gesellschaft haben. Auch etwaige, spätere Exit-Kosten, die bei zukünftigen Entscheidungen relevant werden, finden keine Berücksichtigung.
- Es ist aus den uns vorliegenden Unterlagen nicht ersichtlich, warum der Gemeinderatsbeschluss G-07/067 aufgehoben werden soll. Mit welcher Begründung kann ODF nicht weiter als Standard eingesetzt werden, zumal auch Microsoft zukünftig auf diesen Standard setzt? Diese Möglichkeit findet in der gesamten Beschlussvorlage keine Erwähnung, hier wird sich vielmehr bereits auf ein Produkt eines Herstellers festgelegt. Nach Ansicht der Unterzeichner ist diese Prozedur keinesfalls vergabekonform und eröffnet potenziellen Auftragnehmern und Bewerbern zahlreiche Möglichkeiten, rechtliche Schritte einzuleiten.
Gerne hätten wir uns in den Prozess zur Beurteilung des Gutachtens schon früher eingebracht, aber trotz unseres offenen Briefes an die Stadt vom 18. September 2012 wurde uns das Gutachten und die Stellungnahme der Verwaltung erst Anfang dieser Woche, zusammen mit der Öffentlichkeit, zur Verfügung gestellt.
3) Beschlussvorschlag an Sie
Wir möchten Sie auffordern, als Gemeinderat eine politische und nachhaltige Entscheidung zugunsten von Offenheit, Transparenz, Mitbestimmung und Mitwirkung aus dem Jahre 2007 nicht vorschnell in eine Entscheidung zu verwandeln, die zu direkten Lizenzzahlungen an einen proprietären Hersteller in Höhe von ca. 550.000 EUR führt.
Große Städte wie München, Jena und (seit der Erstellung des Gutachtens im Sommer 2012 dazugekommen) Leipzig beweisen, dass LibreOffice- oder ApacheOffice-Implementationen der neuesten Generation erfolgreich sind. Auch in kleineren Städten wie der Stadt Schwäbisch Hall oder Treuchtlingen laufen Projekte mit einem klaren Fokus auf offenen Office-Suiten zur großen Zufriedenheit und haben zu deutlichen Einsparungen geführt.
Weltweite Beispiele belegen Erfolge, die Institutionen jeder Couleur mit freien Office-Produkten wie LibreOffice haben - die Keynote von Italo Vignoli von der LibreOffice Konferenz nennt hier zahlreiche Beispiele.
Gerade die Fortschritte der letzten Jahre innerhalb der freien Office-Projekte (erfolgreiche Einführung von Qualitätsmanagement und Unit-Testing, LibreOffice gewinnt als Marktführer mehr und mehr User - 60 Millionen Anwender weltweit) bezeugen die Fähigkeiten der kostenfreien Alternativen. Dass dabei jedoch weitreichende organisatorische Vorarbeiten und Planungen zu treffen sind, versteht sich. Ohne die jedoch ist auch eine Migration auf proprietäre (Office-)Produkte zum Scheitern verurteilt. Eine Office-Migration, egal mit welchem Ziel, ist stets mehr von organisatorischen Faktoren geprägt denn von technischen (Beispiel: Formatvorlagen). Gerade bei diesen Fragestellungen können wir Ihnen Kontakte und Gesprächspartner anbieten, die nachhaltige und erfolgreiche Projekte durchgeführt haben, wie zum Beispiel in Schwäbisch Hall oder München.
Wir schlagen vor, den Erfahrungsaustausch diesbezüglich weiter zu verfolgen und zügig ein neuestes Release zu evaluieren und als klare Wahl in der Stadt einzusetzen. Ein Doppelbetrieb wie bisher ist sicherlich wenig erfolgreich, insoweit schließen wir uns dem Gutachten an. Einzelne Arbeitsplätze können wie bisher mit MS Office versorgt werden, dies ist mit einem Hinweis an Lieferanten zum verwendeten Standard zu begleiten. Parallel ist sicherlich eine aktive Änderung der Landesvorgaben bzgl. MS Office als Standard nötig. Gerne unterstützen wir hier bei zukünftigen Initiativen durch entsprechende Gremien wie den Städtetag.
Zusammenfassend schlagen wir vor, den Beschlussvorschlag abzulehnen und eine schnelles Update auf eine neue Version einer freien Office Suite (LibreOffice oder Apache OpenOffice) durch die Verwaltung prüfen zu lassen. Den weiteren Weg hin zu mehr Einsatz Freier Software in Ihrer Stadt sind wir gerne bereit aktiv zu begleiten.
Bitte stimmen Sie gegen die Beschlussvorlage.
Mit freundlichen Grüßen,
Peter Ganten - Vorsitzender des Vorstands der Open Source Business Alliance
Holger Dyroff - Sprecher der Working Group Public Affairs und Vorstandsmitglied der Open Source Business Alliance
Matthias Kirschner - Deutschlandkoordinator der Free Software Foundation Europe
Marco Schulze - Bundesverband des Informations- und Kommunikationstechnologie
Florian Effenberger - Vorsitzender des Vorstands der The Document Foundation
Jacqueline Rahemipour - Vorstandsmitglied des Freies Office Deutschland e.V.