Apple behauptet, "die Interoperabilität des DMAs verstößt gegen die Grundrechte“. Die FSFE ist da anderer Meinung. Wenn Sie auch der Meinung sind, dass Interoperabilität der Schlüssel zur Softwarefreiheit ist unterstützen Sie uns noch heute!

Softwarepatente in Europa

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Offener Brief an alle Bürger Europas

10. Mai 2004

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

Haben Sie schon mal was von der Internet-(IP-) Telefonie gehört? Das ist eine prima Technik!

Wenn Sie am Computer sitzen, können Sie auf eine Nummer klicken und der Computer wählt für Sie - ganz automatisch!

Wollen Sie sich mit Ihren Freunden fürs Wochenende verabreden, können Sie genauso einfach eine Telefonkonferenz einberufen. Und wenn Sie und Ihre Gesprächspartner über eine Webcam verfügen, sehen Sie sich auch noch.Sollten Sie eine 'Flatrate' in Anspruch nehmen, entstehen Ihnen keinerlei Verbindungsgebühren.

Entsprechend beträchtlich sind die Geschäftserwartungen: IBM rechnet bei professionellen Anwendern mit Kostenreduzierungen von 30 Prozent. Die Marktforschungsgesellschaft Gartner rechnet damit, dass sich das Marktvolumen bis 2007 gegenüber 2002 fast vervierfacht. Ein hochinteressantes Geschäft also.

Und doch - die Sache hat einen Haken. Und der heisst 'Softwarepatent': Während das Urheberrecht beispielsweise verhindert, dass jemand "Microsoft Word" unter einem anderen Produktnamen verkauft, werden mit Softwarepatenten Ideen geschützt und für viele Jahre zum kreativen Sperrgebiet erklärt. So hält die Firma Apple ein Patent auf einen virtuellen Papierkorb. Wo es entsprechende rechtliche Grundlagen gibt, kann Apple Papierkörbe in Softwareanwendungen verhindern bzw. von den Herstellern Lizenzgebühren in beliebiger Höhe fordern.

Doch zurück zur Internet-Telefonie: Hier ist ein ganzes Kartenhaus von Ideen notwendig: Wie kommen Audio- und Video gemeinsam beim Anwender an? Wie können die Daten so komprimiert werden, dass Anwender mit schmalbandigem Analoganschluß nicht ausgeschlossen werden? - Und dieses Gebäude der Internet-Telefonie steht und fällt mit jeder einzelnen dieser Ideen. Professor Henning Schulzrinne von der US-Amerikanischen Columbia University sieht nur eine Chance: 17 Jahre warten, bis alle Patente abgelaufen sind!

In den USA gibt es bereits gesetzliche Grundlagen, um Ansprüche aus Softwarepatenten durchzusetzen. Das Europäische Patentamt vergibt seit Jahren Patente, deren Ansprüche aber mangels Gesetz hierzulande nicht durchgesetzt werden können. Der Ministerrat der Europäischen Union will nun die rechtlichen Regelungen hierzulande denen jenseits des Atlantiks anpassen. Und das, obwohl das Europäische Parlament noch im September 2003 bekräftigt hat, es solle auch künftig keine Softwarepatente in Europa geben. Und jetzt - keine sieben Monate später - machen Ministerrat und Kommission der Europäischen Union Anstalten das genaue Gegenteil zu beschliessen. Ein Affront gegen unsere gewählten Volksvertreter!

Dass damit die Spielregeln der Demokratie mit Füssen getreten werden, ist dabei nur eine Randerscheinung. Viel mehr werden uns die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen zu schaffen machen: Das Europäische Patentamt hat 30.000 Softwarepatente erteilt. Wieviel kreatives und damit wirtschaftliches Potential wird damit auf viele Jahre hinaus blockiert? Wieviele Arbeitsplätze könnten ohne Softwarepatente künftig entstehen??

Wer aber hat nun ein Interesse daran, Ideen zu monopolisieren und mit Ihnen zu handeln? Im November 2003 haben die Vorstandsvorsitzenden von Alcatel, Ericsson, Nokia und Siemens an die EU-Kommission geschrieben und sich für die Softwarepatente stark gemacht. Wussten Sie was sie tun? Offenbar nicht - denn gerade die Telekomausrüster würden ein glänzendes Geschäft mit der IP-Telefonie machen!

Auf jeden Fall haben die Patentanwälte ein Interesse an neuen und komplexen Gesetzen: Nach der Entscheidung des Europäischen Parlaments gegen Softwarepatente hat die Patentanwaltskammer eine zwölfseite Stellungnahme veröffentlicht, gezeichnet vom Vorsitzenden des "Computer-Software-Ausschusses". Aus der Sicht der über 700 Patentanwälte allein in München (Hier muß man natürlich noch die Rechteverwalter in den Unternehmen und Kammern hinzuzählen!) scheint dieser Aufwand auch gerechtfertigt, schliesslich schien diesen ja ein wesentliches Betätigungsfeld mit Wachstumspotential abhanden zu kommen. Aber kann es sich die Europäische Volkswirtschaft leisten, ihre Wettbewerbsfähigkeit zugunsten dieser Partialinteressen zu opfern?? Solange aber die öffentliche Diskussion von Patentanwälten in Patentämtern, Anwaltskanzleien, Kammern, Verbänden und Ministerien bestimmt wird, wird der Eindruck erweckt werden, die Partialinteressen seien die Interessen der gesamten Gesellschaft.

Wissenschaftlich bestätigt wurden die Auswirkungen des Krebsgeschwürs "Patentunwesen" vom US-amerikanischen MIT, des Massachusetts Institute of Technology. Das hat in einer Studie im Jahr 2003 festgestellt, dass Unternehmen umso weniger in Forschung und Entwicklung investieren, je mehr Softwarepatente sie halten.

Was passiert nun in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft insgesamt, wenn diese Entwicklungen nicht gestoppt werden? Wir verbieten den Menschen, kreativ zu sein. Wir überlassen die gesellschaftliche Entwicklung den Bürokraten, die uns auf Schritt und Tritt zu ihrem eigenen Vorteil gängeln wollen. Der Tschechische Präsident Vaclav Klaus formuliert es so: "Die EU besteht nicht aus Freiheit und Offenheit, sondern aus Bürokratisierung, Dirigismus, Regulierung und Harmonisierung." Wenn wir die Diskussionen anderen überlassen, laufen wir Gefahr, ihm Recht zu geben.

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, Sie kennen uns - die fsfe.org und den www.ffii.org - als Organisationen, die sich mit der Förderung öffentlicher Informationsgüter und Freier Software beschäftigen.

Das werden wir auch in Zukunft tun.

Nun werden Softwarepatente auch Freie Sofware erheblich behindern, in der Konsequenz geht es allerdings um weit mehr - nämlich die Versklavung der gesamten Gesellschaft durch die Patentindustrie! Daher bitten wir Sie um Ihre Unterstützung in unserem Kampf für die Freiheit in Europa! Dies können Sie tun, indem Sie:

  • 1. Bei den Politikern und Behörden Ihres Landes protestieren
  • 2. Unternehmer -- und nicht deren Patentabteilung -- auf die Gefahren von Software-Patenten aufmerksam machen und darum bitten sich bei ihrer Regierung für die Innovation und gegen Software-Patente einzusetzen.
  • 3. Die Zeitungen in Ihrer Region/ in Ihrem beruflichen Umfeld ansprechen. Journalisten haben Einfluss - sie müssen aber zunächst erkennen, dass den Menschen ein Problem auf den Nägeln brennt!
  • 4. Uns mit Ihrer Spende unterstützen: Bankdaten und verschiedene Online-Zahlungszugänge finden Sie unter https://fsfe.org/help/donate.html und unter http://www.ffii.org/assoc/financ/account/
    Diese Spende ist in vielen Ländern Europas steuerlich abzugsfähig. Die Bescheinigung für Ihr Finanzamt erhalten Sie bei Angabe Ihrer Adresse umgehend.
  • 5. An den Demonstrationen teilnehmen, die wir vom 10. bis 14. Mai in zahlreichen Haupstädten Europas durchführen: http://kwiki.ffii.org/SwpDemo0405En
  • 6. Außerdem können Sie unter http://www.ffii.org/ffii-cgi/aktiv?f=euparl&l=de den "Aufruf zum Handeln II" des FFII unterschreiben.

Mit freundlichen Grüßen

Georg Greve
Free Software Foundation Europe
fsfe.org
 
Hartmut Pilch
Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur e.V.
www.ffii.org