Softwarepatente in Europa
[Einführung | Hintergrund | Status | Weiterführende Dokumente]Softwarepatente -- eine Gefahr für die Demokratie
6. Juni 2005
Josep Borrell Fontelles ist der Präsident des Europäischen Parlaments.
Sehr geehrter Präsident des Europäischen Parlaments,
Am 6.Juli wird das Europäische Parlament über die Richtlinie zu Softwarepatenten entscheiden müssen. Durch das Abstützen auf undefinierte Ausdrücke und unwirksame Grenzen würde der Text, welcher der Rat dem Parlament vorgelegt hat, Patente über Softwarestandards, Geschäftsmethoden und Websiteentwicklung erlauben.
Leider werden durch all die technischen und rechtlichen Debatten über diesen Text die realen, unmittelbaren Auswirkungen von Softwarepatenten oft nicht mehr diskutiert. Die FSFE würde gerne die Gelegenheit ergreifen, über fünf der 30 000 Softwarepatente, welche durch das Europäische Patentamt bisher erteilt wurden, zu diskutieren. Diese würden zusätzlich an rechtlichem Boden gewinnen, um danach während 20 Jahren gegen die Europäer durchgesetzt zu werden. Natürlich würde ebenfalls die Häufigkeit der Anwendung von Softwarepatenten stark ansteigen, wenn diese Richtlinie in ihrer aktuellen Form angenommen würde.
EP0287578 umfasst komprimierte Audiodaten, inklusive dem "mp3"-Format. EP0933892 behandelt das Zugänglichmachen von Videos über das Internet. EP0633694 deckt Video-On-Demand ab, wie etwa die Übertragung von Live-Veranstaltungen.
Diese drei Monopole auf allgemeine Techniken der Informationsverteilung würden über Nacht zusätzlich an Rechtsgrundlage gewinnen. Ein Beispiel einer Internetseite, auf der gegen alle drei Patente verstoßen würde, ist die Seite "Hearings of the Commissioners-Designate" im Bereich Presseservice der Europarl-Webseite.
EP0689133 umfasst den Gebrauch von Karteireitern ("Tabs") auf einer Webseite, die angeklickt werden können, um Informationen zu sehen, auf die sich die Bezeichnung des Reiters bezieht. EP0537100 behandelt den Gebrauch von verkleinerten Bildern ("Thumbnails") als klickbare Links zum Bild in voller Größe.
Die Fotogallerie des Schlichtungskommittees auf der Europarl-Webseite benutzt beide Techniken: Thumbnails für die Fotos und Reiter für die Sprachen, die ausgewählt werden können.
Wenn diese Ausdehnung des Patentsystems auf Softwareideen nicht rückgängig gemacht wird, werden das Europäische Parlament und die Mehrheit der Abgeordneten – die meisten ihrer Websites bauen auf diese oder andere patentierte Techniken - Patentverletzer bleiben. Natürlich wirkt die politische Bedeutung dieser Personen wie ein Rettungsring gegen Gerichtsverfahren. Die Patentinhaber werden den Mitgliedern des Europäischen Parlaments erlauben, diese Techniken zu benutzen oder zumindest weiterhin bei ihren Verstößen wegschauen.
Dies trifft für gewöhnliche Bürger und Geschäfte aber nicht zu. Die billigste Lösung für jene ist, sich dumm zu stellen und zu hoffen, dass sie nicht die Aufmerksamkeit eines Patentinhabers erregen. Jedoch so etwas wie eine Investition eines Risikokapitalgebers könnte die Lust des Patentinhabers nach einem Gerichtsverfahren wecken.
Alle fünf Patente werden häufig verletzt, gewöhnlich durch Leute, die sich der Existenz des Patents nicht einmal bewusst sind. Wenn ein Inhaber einer Website auf die letzten zwei Patente aufmerksam gemacht würde, könnte er eine Neugestaltung durchführen, möglicherweise mit Einbußen in der Benutzerfreundlichkeit, aber er könnte diese Patente vermeiden. Die ersten drei genannten Patente jedoch machen es schwierig bis unmöglich, Film oder Ton über das Internet in irgendeiner Art anzubieten.
Es liegt daher beim Inhaber des Softwarepatents, beliebig zu bestimmen, welche Bürger die Information über die Tätigkeiten ihrer Repräsentanten aus erster Hand suchen und abrufen können, und welche nicht. Die Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft sind in Gefahr.
Wie die Europarl-Webseite zeigt, wird Softwareentwicklung nicht nur für kommerzielle Zwecke unternommen. Sie wird für einen gesellschaftlichen Nutzen und aus praktischen Gründen betrieben. Dies steht in Kontrast zu traditionell patentierbaren Gebieten wie Pharmazeutik oder Maschinenbau, bei denen Marktteilnehmer üblicherweise genügend Kapital besitzen, um Rechtsauskünfte einholen und nötigenfalls sich selbst vor Gericht oder mit Gegenklagen verteidigen zu können.
Von den obengenannten Patent-Beispielen ist nur gerade eines im Besitz einer europäischen Firma, die anderen vier gehören nichteuropäischen Gesellschaften. Dies entspricht ungefähr der allgemeinen Situation der Softwarepatente in Europa, von denen nur 23% europäischen Gesellschaften gehören.
Im Interesse der europäischen Demokratie und Wirtschaft möchten wir Sie ermutigen, gegen Softwarepatente eine feste Haltung einzunehmen und für die Änderungsanträge zu stimmen, die Begriffe klar definieren und der Patentierung von Softwareideen Einhalt gebieten.
Mit freundlichen Grüßen,
Georg Greve
Präsident
Free Software Foundation Europe (FSFE)
fsfe.org